Gold glänzt wie neu dank Alkohol und Pinsel – Restaurierung des Hochaltars

Wie Markus Heberle dem berühmten Blaubeurer Kunstwerk wieder zu früherer Strahlkraft verholfen hat.

von Thomas Spanhel, Das Blaumännle, 22.11.2024

Die Blattgold-Flächen des weltberühmten Blaubeurer Hochaltars glänzen wieder frisch. Staub und Schimmel hatten sich auf dem 530 Jahre alten Meisterwerk aus Ulmer Künstlerwerkstätten breit gemacht. In aufwendiger Detailarbeit und im Rahmen der „größten Restaurierung seit 30 Jahren“ hat der Sachverständige Markus Heberle den Altar wieder soweit möglich in seinen Originalzustand verwandelt.
Heberle liebt die Arbeit an dem viel gerühmten Kunstwerk: „Von der Qualität der verwendeten Materialen bis zur malerischen Ausführung: Das war damals das Beste vom Besten in ganz Süddeutschland.“ Das Kloster als Auftraggeber hatte genug Geld, um sich ein so außergewöhnliches Schmuckstück leisten zu können. Das mache sich in jedem Detail bemerkbar, erläutert Heberle: Die Künstler damals haben beispielsweise „drei Mal so dickes Gold aufgetragen, wie wenn man das heute machen würde“. Die verwendete blaue Farbe wirke ganz samtig auch wegen der Verwendung von Eiweiß und Halbedelsteinen bei der Herstellung. Entsprechend  wenige Stellen an dem Altar seien selbst nach über 500 Jahren beschädigt oder mussten retuschiert werden.
Hauptproblem war in den vergangenen Jahren die Schimmelbildung aufgrund der Feuchtigkeit im Raum. Auch weil Heberle bei jährlichen Kontroll-Untersuchungen die Ausbreitung des Schimmels vor allem auf den 16 Gemälden der Lebensgeschichte von Johannes dem Täufer mitverfolgte und dokumentierte, entschied sich das Land als Eigentümer des Hochaltars schließlich dafür, im Sommer ein neues Lüftungssystem im Chorraum einzubauen. Außerdem wurde der Kriechgang unter dem Chorgestühl trockengelegt. Ein neuer Vorhang am Zugang zur Petrikapelle verhindert jetzt das unkontrollierte Nachströmen von feuchter Frischluft.
Der besondere Standort der Klosteranlage in einem Talwinkel und die vom Blautopf erhöhte Feuchtigkeits-Abgabe hatten im Chorraum „zu bauphysikalischen und darauffolgend zu mikrobiologischen Schäden“ geführt, erläutert Diana Marquardt, Abteilungsleiterin bei der Staatlichen Vermögens- und Hochbauverwaltung. Der Unterschied gegenüber der etwas muffigen Raumluft früher fällt jedenfalls sofort auf, wenn man jetzt in den frisch belüfteten Chorraum tritt.
Auch wegen der Bauarbeiten an der neuen Lüftungsanlage legte sich Staub auf den Altar, eine gründliche Reinigung wurde nötig. Mit einem weichen Ziegenhaar-Pinsel und Staubsauger wurde in einem ersten Schritt grober Schmutz von einzelnen Teilen des Kunstwerks geholt. Im zweiten Schritt holte Heberle festsitzendere Verschmutzungen wie etwa Schimmel von den Oberflächen. Und in einem dritten Schritt desinfizierte der Restaurator die Oberflächen mit einem speziellen Alkoholgemisch, um zu verhindern, dass sich der Schimmel schnell wieder ausbreitet. Gut zwei Stunden braucht Heberle, um etwa Maria mit Jesuskind, die zentrale, mehr als lebensgroße geschnitzte Schreinfigur des Ulmer Meisters Michel Erhart komplett zu restaurieren. Und beispielsweise die feine Farbgebung auf den Skulpturen wieder zur Geltung zu bringen: „Es ist eine wunderbare Sache, wie nahtlos bei Maria die fleischfarbene Blässe der Haut in ihr zartes Wangenrot übergeht“,  schwärmt er.
Die Zeit, in der das Gerüst für die Restaurierung vor dem Altar stand, nutzten auch Schulleiter Jochen Schäffler und Schüler des Evangelischen Seminars, um die Besonderheiten des Hochaltars aus der Nähe zu bewundern. Schäffler faszinierten besonders die kleinen, teils auch humorvollen Details, die in die Tafelbilder des Altars vor allem vom Maler Bartholomäus Zeitblom und dem unbekannten „Meister der Blaubeurer Kreuzigung“ eingearbeitet sind. So etwa ein Mann, der sich mit Klettereisen in eine steile Felswand wagt, ein idyllischer Bauerngarten oder die reich verzierten Kleidungs-Borten der Frauen. „Interessant sind auch die vielen Graffiti überall auf dem Altar“, berichtet Schäffler: Darunter befinden sich Klosterschüler aus vier Jahrhunderten, die sich in dem Kunstwerk verewigen wollten. Mit rund 25 Seminarschülern veranstaltete der Schulleiter während der Altarrestaurierung eine besondere Aktion: 24 Stunden lang schlüpften die Jugendlichen in die Rolle eines mittelalterlichen Mönches – und ließen sich von Heberle auch ins Handwerk eines Restaurators einführen. Schäffler hofft, dass der Hochaltar auch in seinen gewandelten Formen mit den großartigen Gemälden zu liturgischen Zwecken noch öfter sichtbar wird. Momentan werden die Seitenflügel des Altars aus Gründen der Erhaltung nur ganz selten bewegt.