Die nötige Distanz wahren und Nähe zulassen.
Verbindlicher Verhaltenskodex zur Prävention von Sexualisierter Gewalt am Evangelischen Seminar Blaubeuren
Sensibilisierung, Auftrag und Horizont
- Der Titel der 2014 erschienenen Broschüre der EKD „Auf Grenzen achten. Sicheren Ort geben“ ist programmatisch: Ohne deutliche Grenzen und ohne Nähe geht es nicht. Betont wird, dass pädagogische Arbeit in Kirchengemeinden und Schulen immer auch Beziehungsarbeit ist und der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses ein wichtiger Bestandteil der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Auch die im Unterricht und in schulischen Internaten entstehenden Beziehungen weisen die beschriebenen Besonderheiten auf: Zum einen besteht eine emotionale und räumliche Nähe zwischen Erwachsenen und Minderjährigen, zum anderen entstehen diese Beziehungen im Rahmen eines professionellen Kontextes, in dem die Jugendlichen ihre Bezugspersonen nicht ausschließlich frei auswählen können und dem Kontakt mit diesen nur sehr begrenzt ausweichen können. Eine zentrale Anforderung an Pädagoginnen und Pädagogen ist daher, die nötige Distanz zu wahren und Nähe zuzulassen. (https://www.ekd.de/Missbrauch-Grenzen-achten-Sicheren-Ort-geben-24571.htm)
- Die Projektstelle Prävention der Württembergischen Landeskirche hält fest: Das Thema „Sexualisierte Gewalt“ stellt alle, die im Raum der Kirche tätig sind, vor eine große Herausforderung. Wir wissen inzwischen, dass sexualisierte Gewalt, Grenzverletzungen und Missbrauch überall geschehen, in einer Kultur des Schweigens und des Verleugnens aber ‚gedeihen‘ können. Asymmetrische Beziehungen sind in besonderer Weise gefährdet. Umso wichtiger ist, dass Kinder, Jugendliche und hilfesuchende Erwachsene im Raum der Kirche Schutz- und Kompetenzorte finden und auf Menschen treffen, die auf Anzeichen und Hinweise auf Missbrauch oder Grenzverletzungen professionell reagieren und sich mit dem Schutzauftrag ausführlich beschäftigt haben. (https://www.elk-wue.de/helfen/sexualisierte-gewalt/praevention)
1. Gestaltung von Nähe und Distanz
- Einzelgespräche, Übungseinheiten und Einzelunterricht finden nur in den dafür vorgesehenen und jederzeit von außen zugänglichen geeigneten Räumlichkeiten statt.
- Freundschaften zwischen Lehrkräften und Schüler*innen werden unterlassen.
- Private Aktivitäten von Lehrkräften mit Schüler*innen außerhalb des Seminargeländes werden mit der Schulleitung vorab abgesprochen.
- Spiele, Methoden und Übungen im Unterricht und Internat werden so gestaltet, dass den Schüler*innen weder Angst gemacht noch ihre Grenzen überschritten werden.
- Individuelle Grenzempfindungen und verbalisierte Signale von Schüler*innen und Lehrkräften werden ernst genommen, geachtet und nicht abfällig kommentiert.
- Grenzverletzungen durch Lehrkräfte oder durch Schüler*innen, z.B. sexualisierte Komplimente oder unangemessene Berührungen werden thematisiert und dürfen nicht kleingeredet oder übergangen werden
2. Angemessenheit von Körperkontakt
- Unerwünschte Berührungen sind grundsätzlich nicht erlaubt.
- Körperkontakt zwischen Lehrenden sowie Mitarbeitenden und Schüler*innen ist sensibel und nur in Ausnahmefällen während der Dauer und zum Zweck einer Versorgung, wie z.B. Pflege, Erste Hilfe, Trost oder zum Schutz von anderen oder sich selbst erlaubt. Grundsätzlich wird vor einer Berührung um Erlaubnis gefragt.
- Im Sportunterricht, AGs und im Gesangs- und Instrumentalunterricht sind Hilfestellungen und Sicherungen als eindeutige Unterstützungshandlungen zu gestalten und zu erläutern. Die Zustimmung der Schüler*innen ist hierfür erforderlich.
- Insbesondere im Sportunterricht ist eine angstfreie und ermutigende Atmosphäre wichtig.
3. Sprache, Wortwahl und Kleidung
- Bei jeder Form der Kommunikation sind Respekt vor den und die Würde der anderen Mitglieder der Schulgemeinschaft zu wahren. Sexualisierte Sprache, rassistische, diskriminierende oder verletzende Kommentare haben keinen Platz am Seminar.
- Abfällige oder geschlechterbezogene Bemerkungen, Bloßstellungen, Bodyshaming oder Catcalling (z.B. Hinterherpfeifen) werden nicht geduldet. Dies gilt auch für die Interaktionen der Schüler*innen untereinander.
- Schüler*innen werden von Lehrenden mit ihrem Vornamen oder in der von ihnen ausdrücklich gewünschten Form angesprochen.
- Herablassende Kosenamen oder Spitznamen werden auch unter Schüler*innen nicht verwendet. Jegliche abwertenden Witze, z. B. über Namen und Dialekte, werden unterlassen.
- Verbale und nonverbale Interaktionen sollen der jeweiligen Rolle und dem Auftrag entsprechen und der Zielgruppe und deren Bedürfnissen angepasst sein.
- Bei Grenzverletzungen jeglicher Art ist engagiert Position zu beziehen.
- Wir verzichten auf einen institutionellen Kleidungskodex. Gleichzeitig sind wir uns der Unterscheidung zwischen der schulischen und privaten Sphäre bewusst und berücksichtigen dies in unserer Kleidungswahl.
- Wer sich auf dem Flur des Schlaftrakts aufhält, ist angemessen gekleidet.
4. Umgang mit und Nutzung von sozialen Netzwerken und Medien
- Ein in jeder Hinsicht respekt- und verantwortungsvoller Umgang mit sozialen Medien und Netzwerken wie z.B. Tiktok, Instagram und YouTube ist erwünscht.
- Den konkreten Gruppendruck in sozialen Netzwerken kennen Lehrende kaum und noch viel weniger können sie an dieser Stelle kontrollieren. Daher ist es v. a. wichtig, die Sensibilität der Schüler*innen zu stärken und Wege zur Reaktion auf Grenzverletzungen aufzuzeigen.
- Unverzichtbar sind Medientage für Schüler*innen, um Sensibilität und Medienkompetenz zu fördern. Medienkompetenz wird durch regelmäßige Schulungen und Präventionsangebote pädagogisch unterstützt.
- Das Recht am eigenen Bild ist zu wahren. Ohne Erlaubnis werden keine Bilder von anderen Personen gemacht. Bilder, persönliche Daten und Chatverläufe werden nicht ohne Einverständnis der betroffenen Person(en) gepostet.
5. Respektvoller Umgang und Achtung der Intimsphäre
- Persönliche Räume werden als solche respektiert.
- Eigenständigkeit in Bezug auf eine Grundordnung und -sauberkeit der Zimmer wird erwartet und ggf. von den Lehrkräften sensibel eingefordert.
- Vor dem Betreten der Internatszimmer wird um Zustimmung gebeten.
- Lehrer*innen achten auf angepasstes Klopfen und warten auf Zustimmung beim Betreten der Internatszimmer. Wird das Antworten außen nicht gehört, kann die Tür um eine Fingerbreite geöffnet werden, um nochmals um Zustimmung zum Betreten zu bitten.
- Sanitärräume / WC betreten Lehrende nur anlassbezogen und dann nach deutlicher Ankündigung.
- Der gegengeschlechtliche Schlaftrakt, vor allem die einzelnen Zimmer, werden von Lehrkräften nur in Ausnahmefällen und anlassbezogen betreten (z. B. medizinische Probleme, Fehlen eines/r Schüler*in, Lautstärke), wenn möglich werden gleichgeschlechtliche Kolleg*innen dazugebeten.
- Bei Gesprächen auf den Schlaftrakten wird auf alle geschützten Zeiten geachtet, damit diejenigen, die schlafen möchten, nicht gestört werden.
6. Zulässigkeit von Geschenken
- Es werden grundsätzlich keine privaten Geschenke zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen getauscht.
- Anlassbezogene, angemessene Aufmerksamkeiten zwischen Schüler*innen und Lehrkräften (z. B. Geburtstagskuchen, Wichteln, gruppenbezogenes Essen, Preise) sind zulässig, wenn die Gründe dafür auf Nachfrage transparent gemacht werden können.
- Die Annahme unangemessen wertvoller Geschenke wird abgelehnt.
- Private Geldgeschäfte von Lehrenden mit Schüler*innen sind grundsätzlich nicht erlaubt. .
7. Disziplinarmaßnahmen
- Maßnahmen müssen pädagogisch begründet sein und werden nach der Seminarvereinbarung im Konvent bzw. Teilkonvent abgesprochen. Die Seminarvereinbarung ist von Schüler*innen und Lehrer*innen gemeinsam entwickelt und beschlossen worden und wird regelmäßig gemeinsam überarbeitet.
- Im Rahmen der Besprechung des Schutzkonzeptes wird regelmäßig thematisiert, was als Grenzverletzung empfunden wird oder empfunden werden könnte.
- Disziplinierungsmaßnahmen werden den Schüler*innen transparent gemacht.
- Die Nichteinhaltung von Regeln wird mit Konsequenzen sanktioniert, die nach Möglichkeit in Zusammenhang mit dem Fehlverhalten stehen.
- Grenzverletzungen, die in Zusammenhang mit der Androhung oder Anwendung körperlicher oder psychischer Gewalt stehen, werden konsequent verfolgt.
- Willkür, jede Form von Gewalt oder Nötigung sind untersagt.
- Dem möglichen Auftreten solcher Formen etwa in der Ausübung von Ritualen und Traditionen wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet, es finden dazu Präventionsmaßnahmen wie vorbereitende Gespräche statt.
- Um einer möglichen Ausübung von (sexualisierter) Gewalt von Lehrenden gegenüber Schüler*innen im Rahmen der Verhängung von Strafen vorzubeugen, werden Verstöße gegen Regeln grundsätzlich dokumentiert und von den dafür zuständigen Gremien und Lehrenden mit Folgen belegt.
- Auf Wunsch der betroffenen Schüler*innen wird eine weitere Vertrauens- oder Lehrperson zu den Gesprächen dazu gebeten.
- Es werden keine geschlechtsdifferenten Disziplinierungsmaßnahmen verhängt.
8. Regeln für den Nachtdienst
- Notfälle (z. B. Nachtruhestörungen, gesundheitliche Probleme von Schüler*innen, Fehlen von Schüler*innen) erfordern schnelles Handeln, da die Fürsorgepflicht über der Privatsphäre steht.
- Vor dem Betreten der Internatszimmer wird auf angepasstes Klopfen geachtet und auf Zustimmung gewartet, auch bei geöffneter Tür. Wird das Antworten außen nicht gehört, kann die Tür um eine Fingerbreite geöffnet werden, um nochmals um Erlaubnis zum Betreten zu bitten.
- Sollte ein Gespräch im Zimmer notwendig sein, wird in der Regel die Tür offengelassen, wenn Betreuende mit Schüler*innen allein sind. Bei der Wahl des Gesprächsortes soll der Wunsch der Schüler*innen angemessen berücksichtigt werden. Ist ein längeres Gespräch vonnöten, kann dies in der Teeküche erfolgen.
- Muss zur Klärung einer Situation mit gegengeschlechtlichen Schüler*innen gesprochen werden, bemühen sich die Betreuenden darum, dass die betreffenden Schüler*innen von anderen Schüler*innen nach draußen gebeten werden.
- Halten sich die Schüler*innen im Lehrerzimmer auf, wird die Tür offengelassen.
9. Verankerung im Alltag und im Curriculum
- Bei erfahrener oder beobachteter (sexualisierter) Gewalt können Frau Kasper, Herr Stock, jede andere Lehrkraft oder die Psychologische Beratungsstelle Ulm/Blaubeuren (0731 1538 400) zurate gezogen werden.
- Schüler*innen: In dieser Altersgruppe geht sexualisierte Gewalt vor allem von der Peergroup aus. Um dafür zu sensibilisieren und Ansprechpartner*innen am Seminar zu benennen, ist die jährliche Thematisierung in den einzelnen Klassen und der Parität vorgesehen.
- Schüler*innen werden ermutigt, sich auch weiterhin über das Schutzkonzept und das Bedürfnis nach eigener Privatsphäre auszutauschen und auch untereinander Grenzen zu verbalisieren. Diese dürfen nicht übergangen werden.
- Kollegium: Neben der Intervention bei konkreten Anlässen wird der Verhaltenskodex mit anderen wichtigen Unterlagen vor dem Eröffnungskonvent versendet und jährlich mit der Einladung für eine Besprechungszeit im Konvent zur regelmäßigen Ergänzung / Korrektur / Weiterentwicklung vorgelegt.
- Mitarbeitende werden sensibilisiert und zum Mitteilen von Beobachtungen ermutigt.
- Pädagogische Mitarbeiter*innen, Instrumental- und Gesangslehrer*innen werden zur Einhaltung verpflichtet und zum Mitteilen von Beobachtungen ermutigt.
- Die Schulkonferenz berät den Verhaltenskodex, die Klassenpflegschaften erhalten ihn zur Kenntnis.
- Neue Schüler*innen und Eltern erhalten den fertiggestellten Verhaltenskodex zusammen mit dem Anfangsmaterial.
- Das Schutzkonzept wird auf der Homepage des Seminars öffentlich gemacht.
(Stand 12. Mai 2025)