Künstler im Exil, SPD- und Kirchenmitglieder in Haft
Im Blaubeurer „Stadtgespräch“ wird Thema, wie die Nazis in Landstädten ihre Diktatur ausbauten. Flucht ins Ausland, Ausgrenzung und Gewalt: Für einige bekanntere Blaubeurer hatte die Nazi-Diktatur harte persönliche Folgen. Im Rückblick auf die Lebensläufe des Malers Hans Gassebner, der SPD-Stadträtin Ernestine Scheer und des Schlossers Hans Hermann sind beim „Blaubeurer Stadtgespräch“ die Auswirkungen der Nazi-Diktatur in den Blick genommen worden.
Rund 200 Interessierte waren zur einmal im Jahr stattfindenden Veranstaltung der Stadt und der großen religiösen Gemeinschaften in den Klosterkirchensaal gekommen und wollten mehr über die Zeit von 1933 bis 1945 in Blaubeuren wissen. „Diese Geschichte ist wichtig bei der Frage, wie wir unsere Gegenwart gestalten wollen“, schlug Blaubeurens Ehrenbürger Manfred Daur den Bogen zur Jetzt-Zeit, in der ebenfalls Demokratien gefährdet sind. Daur hatte im Frühjahr das Buch „Blaubeuren in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945“ veröffentlicht.
Der frühere Lehrer berichtete, wie auch in Blaubeuren nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 die Demokratie „wie in einem Drehbuch der Autokraten“ in eine Diktatur umgewandelt wurde. Ab diesem Zeitpunkt gab es keine Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen mehr, der Gemeinderat nickte nur noch ab, was der Bürgermeister vorgab. Das unabhängige Blaubeurer Tagblatt wurde von einer Ulmer Zeitung übernommen und dann zu einem Nazi-Presseorgan. Gerichtliche Anordnungen wurden missachtet und die Macht mit Hilfe von Angst, brutalem Druck und Zwang gesichert. Am schlimmsten bekamen das Menschen jüdischer Herkunft zu spüren: Daur präsentierte das Foto der später emigrierten Jüdin Dora Francken, die 1937 vor dem Blaubeurer Freibad stand – hinter ihr die menschenverachtende Beschilderung: „Für Juden keinen Zutritt“ und „Hunde nicht zugelassen“.
Der Blaubeurer Künstler Dieter Gassebner berichtete im Interview mit Schülern von seinem Onkel Hans Gassebner, der ab 1933 als „entarteter Künstler“ galt. Er kam aus der Wandervogelbewegung und lebte in Bad Urach in einer anarchistischen Kommune und ging mit seiner jüdischen Frau nach der Nazi-Machtergreifung ins Exil nach Dalmatien, wo er später fast verhungerte. Stefanie Dispan erzählte von der Blaubeurer SPD-Gemeinderätin Ernestine Scheer, die sich sehr für Frauenrechte und die AWO einsetzte, unter dem Nazi-Regime aber den Gemeinderat verlassen musste und im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler 1944 ohne Angabe von Gründen acht Tage gefangen genommen wurde. Dass es nicht nur Parteigänger und Mitläufer in der Blaubeurer Bevölkerung gab, zeigte sich auch am Schlosser Hans Hermann, der 1943 wegen „wehrkraftzersetzender Äußerungen“ acht Wochen ins Gefängnis musste, wie sein Enkel Michel Hermann berichtete. Während des Kriegs starben seine Jugendfreunde, aber: „Sein Glaube, die Gemeinschaft in der bekennenden Kirche zu spüren, das hat seinen Mut sicher gefördert.“
In den privaten Gesprächen nach dem offiziellen Teil über Personen, die in der „Nazi-Hochburg“ Blaubeuren unter der Nazi-Diktatur litten, wurde weiter über das Thema gesprochen – etwa auch in Erinnerung an den Kommunisten Geog Bühner, der die Parole „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!“ auf einen Felsen gepinselt hatte. Er wurde gleich am 11. März 1933 verhaftet, kam dann Oberamtsgefängnis und später ins KZ Heuberg.
Blaubeurer Stadtgespräch Verschiedene Bevölkerungsgruppen sollen beim Blaubeurer Stadtgespräch im Klosterkirchensaal sich über wichtige politische Themen austauschen: Das ist der Gedanke der seit 2019 stattfindenden Veranstaltung. Diese wird von der Stadt Blaubeuren, der Evangelischen und Katholischen Kirchengemeinde, dem Evangelischen Seminar und dem Islamischen Kulturverein Blaubeuren ausgerichtet.
Thomas Spanhel, Südwest Presse vom 18.11.2025
