Unser Ephorus Dr. Henning Pleitner hat in dieser Woche für alle Semis zuhause und in Blaubeuren eine „Andacht to go“ in Textform vorbereitet:
Andacht to go – Gedanken und Geschichten zum Mitnehmen
5. Mai 2020 – „Wozu noch anstrengen?“
Sieben Wochen sind es jetzt, fünf mit Homeschooling und zwei Wochen der Osterferien, die das normale Leben nicht stattfindet. Keine Schule, keine Freunde, keine Treffen, immer nur zu Hause und mit der eigenen Familie. Was man sich vor zwei, drei Monaten vielleicht noch gewünscht hat: Endlich mal Zeit haben und Ruhe, das wird jetzt eher zur Pein: Netflix mag man nicht mehr sehen, und auch das große Puzzle verliert seinen Reiz. Auch im Fernunterricht wird es von Woche zu Woche schwieriger. Lernen, nur so für sich und mit sich? Und dann noch die düstere Erwartung, jetzt zu den „Coronajahrgängen“ zu gehören, zu denen, denen womöglich für immer der Makel anhaften wird, Coronajahrgang oder, schlimmer noch, Coronaabiturientin zu sein. Im Gespräch mit einigen von euch gewinnt man den Eindruck, dass ihr erwartet, noch bei eurer Beerdigung, irgendwann in siebzig oder achtzig Jahren wird man sagen: er war einer vom Coronajahrgang.
Lohnt es sich da noch anzustrengen? Kann noch etwas aus euch werden? Könnt ihr noch auf eine Zukunft vertrauen, die plötzlich von „alles grün“ auf „nichts geht mehr“ umgeschaltet hat?
Was wir gerade erleben, zeigt, dass Gelingen oder Misslingen nicht nur an uns liegt. Keiner von euch kann etwas für diese Gesundheitskrise. Und die vermutlich noch viel folgenreichere Klimakrise habt ihr auch nicht ausgelöst. Trotzdem wird sie euer Leben bestimmen. Daran erlebt ihr, dass es nicht nur an euch liegt.
Lohnt es sich dann aber überhaupt noch, sich reinzuhängen? Sich trotz allem alle Mühe zu geben? Auch die nächsten Wochen noch alle Motivation aufzubringen?
Eine schöne Geschichte zeigt mir, weshalb es sich lohnen kann, sich auch bei ungünstigen Umständen und Aussichten anzustrengen. Sie stammt aus den USA und spielt in der Zeit der Raddampfer am Mississippi:
Eine Gruppe von Menschen eilte in der Abenddämmerung durch kaltes und unwirtliches Gelände der Stadt zu, von der der Raddampfer abfahren sollte, um sie wieder in ihre Heimat zu bringen. Es wurde immer später, kälter und dunkler, bis sie schließlich ans Ufer des Mississippi kamen. Zu dieser Menschengruppe gehörte auch ein Junge. – In der Ferne hörten sie alle das Tuten des Schiffes, das in der Stadt vom Pier abge- legt hatte. Sie waren also offenbar zu spät. Jeder überlegte voller Angst: Wie sollen wir jetzt, bei zunehmen- der Dunkelheit überhaupt weiterkommen, wie sollen wir überleben, umringt von Gefahren, von wilden Tieren, räuberischen Horden und sumpfigem Gelände? Schließlich tauchte in der Abenddämmerung aus dem Nebel der Raddampfer auf und zog seine Bahn in voller Fahrt. Die Gruppe der Menschen war in der Nähe eines Stegs, an dem nur kleine Boote festmachen konnten.
Der Raddampfer naht, ist auf gleicher Höhe in voller Fahrt – da hält der Junge seine Hände an den Mund und ruft und ruft. Und dann winkt er mit beiden Händen und mit beiden Armen. Die Menschen in ihrer Ver-zweiflung sagen: „Hör auf! Das ist sinnlos. Du machst uns nur noch verrückter und verzweifelter.“ Aber derJunge ruft und winkt weiter. Da dreht der Dampfer bei, wendet, setzt ein Boot aus und nimmt die Gruppe verängstigter Menschen auf. Sie sind gerettet und fahren zurück in die Heimat. Die Menschen der Gruppe in großer Aufregung fragen den Jungen: „Wie konnte das geschehen?“ Und der Junge antwortete nur mit einem Satz: „Der Kapitän des Schiffes ist mein Vater.“
Darum: Haltet gut aus und bleibt dran!
Henning Pleitner
Die Geschichte – andere haben sie später übernommen – steht ursprünglich in meinem Lieblingspredigtbuch: Klaus Berger, Wie ein Vogel ist das Wort. Wirklichkeit des Menschen und Parteilichkeit des Herzens nach Texten der Bibel. Stuttgart 1987, S. 287